Abläufe im Familienort

Erstgespräch

Das offizielle Erstgespräch im Familienort, zu dem wir die Eltern gemeinsam mit ihrem Kind einladen, stellt bereits einen Rahmen dar, in dem das Kind und wir uns das erste Mal begegnen. Neben dem Kennenlernen der Eltern, und dem Informieren und Fragen beantworten, nehmen wir uns bewusst Zeit, um mit dem Kind in Kontakt zu kommen, mit ihm zu kommunizieren und interagieren und es schon ein kleines bisschen kennenzulernen. Zugleich bieten wir dem Kind die Möglichkeit, die Räumlichkeiten des Familienorts in Ruhe zu erforschen.

Eingewöhnung

Die Zeit des Eingewöhnens ist für uns eher eine Zeit des gegenseitigen Kennenlernens und des Aufbaus einer tragfähigen Beziehung für die gemeinsame Zeit im Familienort. Für ein junges Kind bedeutet es eine große Herausforderung, eine neue Beziehung zu zunächst noch fremden Personen an einem fremden Ort aufzubauen und sich – womöglich sogar das erste Mal in seinem Leben – für eine Zeit von seiner nächsten Bezugsperson zu trennen. Frühe problematische Trennungserfahrungen können Stress und Angst auslösen und die Entwicklung des Kindes negativ beeinflussen.

Um sich mit uns, den anderen Kindern und der Familienortumgebung vertraut zu machen, benötigt das Kind Zeit und die Hilfe und Unterstützung seiner Eltern oder anderer primärer Bezugspersonen. Diese Faktoren finden sicher auch Berücksichtigung in dem uns, auch in der Praxis bekannten, verbreiteten „Berliner Eingewöhnungsmodell“. Dennoch haben wir uns dazu entschieden uns am von Anna von Ditfurth vom Marie-Meierhofer-Institut in Zürich entwickelten „Zürcher Modell zur Gestaltung von Übergängen“ zu orientieren.

Es stellt einen neuen Handlungsansatz dar, welcher grundlegend andere Schwerpunkte als das Berliner Modell setzt. Diesem Modell, das im Vergleich zum Berliner Modell explizit für Kinder unter zwei Jahren entwickelt wurde, liegen ebenfalls langjährige Erfahrungen und Forschungen zu Grunde. Der Eingewöhnungsprozess wird bei diesem Modell entschleunigt und entflechtet und verläuft so insgesamt natürlicher, behutsamer und damit aus unserer Sicht professioneller. Es berücksichtigt in besonderer Weise die natürlichen und berechtigten Trennungsängste und die anderen mit der Eingewöhnung verbundenen Gefühle der Eltern, die zum Teil weggeschoben bzw. verdrängt werden. Denn letztlich ist es einer der für sie wertvollsten Menschen, den sie einem anderen, ihnen noch nicht besonders gut bekannten Menschen anvertrauen. Es geht darum, dass die Eltern das Gefühl haben, dass ihr Kind bei uns „gut aufgehoben ist“. Im Modell wird davon ausgegangen, dass es den Eltern schwerfällt ihr Kind allein dort zu lassen, solange sie dieses Gefühl nicht haben.

Die Kinder haben oftmals ein feines Sensorium für diese oftmals unterdrückten und unausgesprochenen Gefühle und reagieren entsprechend. Deshalb geht es zu Beginn darum den Eltern zu vermitteln, dass diese Gefühle normal, richtig und wichtig sind und dass sie den Eingewöhnungsprozess aktiv mitgestalten können. Wir ermutigen sie dazu ihre Gefühle wahr- und ernst zu nehmen und zu äußern, (auch kritische) Fragen zu stellen und auch ihr Kind mit seiner Befindlichkeit gut wahrzunehmen. Wir konzentrieren uns ebenfalls auf die Feinzeichen der Befindlichkeit des Kindes und äußern unseren Eindruck. Wir geben dem Kind Zeit sich in Gegenwart seiner primären Bezugsperson langsam mit uns und der neuen Umgebung vertraut zu machen, indem wir präsent sind und uns dem Kind zuwenden. Ausreichend Zeit (ca. vier bis acht Wochen), sowie das Wahrnehmen der Zeichen des Kindes und das Aufbauen einer vertrauten, tragfähigen Beziehung sind dabei der Schlüssel zu einer guten, stressfreien Eingewöhnung (vgl. von Ditfurth, 2016; Gurzeler, 2010) und damit für eine Zeit im Familienort, die für das Kind eine Bereicherung bedeutet.

Uns ist bewusst, dass die erforderliche Eingewöhnungszeit bei jedem Kind variieren kann. Zum jetzigen Zeitpunkt planen wir für die Übergangsphase gemäß des Züricher Modells vier bis acht Wochen ein und werden in der Regel erst nach der zweiten Woche einen Trennungsversuch vorschlagen. Durch den zweiwöchigen gemeinsamen Aufenthalt zu Beginn hat die Bezugsperson die Möglichkeit, uns und unsere Arbeitsweise mit ihrem und den anderen Kindern kennenzulernen und einen guten Einblick in den Familienort-Alltag zu bekommen. Das ist die Basis für ein Vertrauen uns gegenüber. Grundsätzlich geht es uns bei der Eingewöhnung darum individuell bei jedem Kind und seiner Familie zu schauen, wie ein guter Übergang in den Familienort gelingen kann.

Voraussetzung für einen Platz im Familienort ist, dass sich die Eltern mit einer Eingewöhnungszeit von vier bis acht Wochen einverstanden erklären. Dabei berücksichtigen wir ihre familiäre Situation und sind darauf bedacht, gemeinsam mit den Eltern eine gute Lösung zu finden.

Beispielhafter Tagesablauf

Willkommen!

Zwischen 8.00 Uhr und 8.45 Uhr

Morgens kommen die Kinder, in der Regel etwas zeitversetzt, mit ihren Eltern an. Wir nehmen uns Zeit, um jedes Kind persönlich zu begrüßen und mit ihm an diesem Tag zum ersten Mal in Kontakt zu treten. Das Ausziehen des Kindes, bzw. die Unterstützung des Kindes dabei übernimmt in der Regel die Person, die das Kind gebracht hat. Dann verabschieden sich Kind und Elternteil auf ihre individuelle Weise. Wir sind in dieser Situation in der Nähe und nehmen das Kind bei und nach der Verabschiedung gut wahr und gehen wieder in Kontakt zu ihm. Dann entscheidet das Kind frei, was, wo und mit wem es als erstes etwas tun möchte.

Freies Spielen I

ca. 8.00 Uhr – 9.00 Uhr

Das freie Spielen ist aus unserer Sicht von großer Bedeutung für die Entwicklung des Kindes. In ihm kann es sich ausdrücken, ausprobieren, Erlebtes verarbeiten, mit Dingen experimentieren, Zusammenhänge herstellen, im Kontakt mit anderen sein, Beziehungen zu anderen aufbauen u. v. m. Zum freien Spielen gehören für uns beispielsweise auch das freie Malen, das freie Bewegen, Bilderbücher anschauen. Hierfür finden die Kinder entsprechendes, vielseitiges Spielmaterial in ihrer Umgebung (vgl. hierzu das Konzept vom Freien Spiel in einer geschützten Umgebung und zur freien und autonomen Bewegungsentwicklung nach Emmi Pikler).

Wir gehen davon aus, dass die Kinder sich das zum Spielen aussuchen, was momentan bei ihnen Thema ist (wofür sie sich interessieren, was sie beschäftigt). Beim gemeinsamen Spielen gehen wir „mit den Kindern“, schauen, was sich entwickelt, schlagen ggf. etwas vor, fragen nach und nehmen wahr, ob das Kind auf den Vorschlag eingeht. Dabei greifen wir auf unser Repertoire an verschiedenen Liedern, Spielen und Ideen zurück. Ab und an bringen wir etwas Neues mit: eine Spielidee, ein Material, einen Gegenstand, ein neues Lied, eine neue Geschichte, und schauen, ob es bei den Kindern auf positive Resonanz stößt.

Frühstücken

ca. 8.15 Uhr bis 8.30 Uhr und ca. 9.00 Uhr bis 9.15 Uhr

Wir bieten in der Regel zwei Frühstücksrunden an, da einige Kinder bereits zu Hause gefrühstückt und zunächst keinen Hunger haben und andere nicht gefrühstückt haben und sofort etwas essen möchten. Zuvor bieten wir ihnen aber immer genügend Zeit zum Spielen und guten Ankommen an.

Die Kinder nehmen ihre Rucksäcke mit und richten ihr Frühstück (ggf. mit unserer Unterstützung). Zusätzlich zu ihrem eigenen Frühstück bieten wir einen Teller mit geschnittenem Obst an. Jedes Kind isst das, so viel, in dem Tempo und (wenn irgend möglich) solange es möchte. Bei Bedarf unterstützen wir es dabei. Zum Schluss säubern wir unsere Hände und räumen ggf. gemeinsam den Frühstücksplatz auf.

Körperhygiene I

ca. 9.30 Uhr

Bereits beim Spielen, vor dem Frühstück und auch die restliche Zeit über, nehmen wir wahr bzw. fragen nach, ob ein Kind eine neue Windel braucht oder aufs Töpfchen bzw. auf die Toilette muss. Vor dem Rausgehen planen wir noch einmal Zeit dafür ein. Beim Wickeln laden wir die Kinder dazu ein, das zu übernehmen, was sie schon alleine können und unterstützen sie dabei. Beim Wickeln sind wir im Kontakt mit dem Kind, wir schauen es an, sprechen mit ihm, sagen, was wir als nächstes tun, achten auf Zeichen, was und wie es mithelfen möchte. Diese Zeit nutzen wir, um uns dem Kind mit möglichst ungeteilter Aufmerksamkeit zuzuwenden (vgl. dazu das Konzept der Beziehungsvollen Pflege; Pikler, 2017). Wenn ein Kind aus Interesse beim Wickeln oder Toilettengang bei einem anderen Kind zuschauen möchte, geschieht das nur, wenn das jeweilige Kind damit einverstanden ist.

Anziehen

ca. 9.30 Uhr – 10.00 Uhr, je nach Jahreszeit und Wetter

Im Anschluss nehmen wir uns Zeit, um uns anzuziehen. An- und Ausziehen sehen wir dabei als „Pflegeaktivität“ und damit „exklusive Beziehungszeit“ (vgl. Pikler, 2017). Dabei bauen die Kinder Selbstfürsorgekompetenzen auf (vgl. Gutknecht, 2012). Die Kleider der Kinder sind für die Kinder selbst erreichbar. Jedes Kind übernimmt beim Anziehen selbst das, was es kann.

Raus gehen und Freies Spielen II

ca. 10.00 – 11.00 Uhr

Mit Krippenwagen und Sandspielsachen machen wir uns in der Regel auf den Weg Richtung Spielplatz. Jedes Kind sucht sich einen Platz für den Weg. Entweder sie sitzen im Wagen, oder sie laufen und halten sich dabei aus Sicherheitsgründen mit einer Hand am Kinderwagen oder an der Hand einer Tagespflegeperson fest. Für den Weg nehmen wir uns Zeit (z. B. um die sich verändernde Natur oder andere Dinge in der Umgebung wahrzunehmen, wie z. B. eine Baustelle), oft singen wir dabei gemeinsam Lieder. Auf dem Spielplatz angekommen, kann jedes Kind frei wählen, was, mit wem und womit es etwas spielen möchte (z. B. Schaukeln, Klettern, Rutschen, Wippen, Sandspiel, Spiel mit Naturmaterialien, Verstecken). Wir handeln dabei entsprechend wie beim freien Spiel in den Räumlichkeiten des Familienortes.

Manchmal gehen wir auch auf einen anderen Spielplatz, oder in den Wald oder machen einen Spaziergang (z. B. bei sehr kaltem Wetter oder Regen). Etwa fünf Minuten bevor wir gehen, geben wir den Kindern Bescheid, damit sie die Gelegenheit haben, ihre derzeitige Tätigkeit in Ruhe zu beenden. Dann machen wir uns auf den Rückweg.

Ausziehen, Körperhygiene II und Freies Spielen III

ca. 11.00 Uhr bis 11.40 Uhr

Im Familienort angekommen, ziehen wir uns die Wetterkleidung aus, waschen uns die Hände, wir unterstützen ggf. noch einmal beim Windelwechsel bzw. Töpfchen-/Toilettengang und die Kinder können noch einmal spielen (s. o.). Einer von uns bereitet das gelieferte Bio-Essen vor und deckt den Tisch (ggf. gemeinsam mit einem Kind). Etwa fünf Minuten bevor das Essen genügend abgekühlt ist, geben wir den Kindern Bescheid, dass sie bitte langsam mit ihrem derzeitigen Spiel zum (vorläufigen) Ende kommen, weil gleich das Essen fertig ist.

Mittagessen

ca. 11.40 Uhr bis 12.00 Uhr

Der Verlauf ist hier ähnlich wie beim Frühstück.

Schlafen und Freies Spielen IV

12.00 – Ende

Nach dem Mittagessen, nachdem viele Kinder natürlicherweise von den bisherigen täglichen Erlebnissen müde sind, unterstützen wir jedes Kind seinem Schlafbedürfnis entsprechend und unter Berücksichtigung seiner individuellen Einschlafgewohnheiten dabei einzuschlafen. Hierfür gehen wir nacheinander oder in Kleingruppen mit den Kindern ins Ruhezimmer. Wir sorgen für eine entsprechende förderliche Schlafumgebung und nehmen im Kontakt mit dem Kind wahr, was ihm vielleicht beim Übergang zum Schlafen hilft.

Die anderen Kinder, die nicht schlafen möchten, gehen derzeit einer Spielaktivität nach (z. B. Bilderbuch anschauen, malen, Puzzle machen). Ggf. machen wir ein entsprechendes eher ruhiges Angebot (z. B. gemeinsam ein Bilderbuch anschauen).

Tagesverabschiedung

Abholzeit 12.30 – 13.00 Uhr

Die Kinder werden in der Regel etwas zeitversetzt abgeholt. Wir verabschieden uns und besprechen ggf. noch wichtige Tagesereignisse mit den Eltern.

Saisonale Besonderheiten

Mit Blick auf den Kalender und die jeweiligen Jahreszeiten und Feiertage bereiten wir für die Kinder besondere Angebote vor. So ergeben sich an Festtagen wie Ostern, Sankt Martin, Weihnachten, Fastnacht und zu den Jahreszeitenwechseln und Verabschiedungen einzelner Kinder wiederkehrende oder neue Spiel- und Handlungsangebote von unterschiedlicher Dauer. Die Kinder können das jeweilige Angebot entsprechend ihren Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen selbstwirksam mitgestalten. Auf Wunsch können sie entstandene Werke (z. B. Bilder, gefundene Naturmaterialien, Laternen, etc.) mit zu ihren Familien nach Hause nehmen. Bei diesen Angeboten achten wir besonders darauf, dass die Kinder dieses auch annehmen möchten. Grundsätzlich gilt: Wer nicht möchte, muss nicht mitmachen. Das Kind kann dann gerne zuschauen oder etwas anderes selbst Gewähltes spielen.